Viele Eltern sind verunsichert. Wie können Kinder vor den latenten Gefahren des Alltags beschützt werden? Reicht es aus, wenn der Nachwuchs ein Handy dabei hat und die Eltern jederzeit erreichen kann? Und was ist mit den Gefahren, die die Handy-Nutzung mit sich bringt? Internet, Youtube oder WhatsApp – wie schütze ich mein Kind vor den Gefahren aus der Online-Welt? Zahlreiche Apps versprechen hier Abhilfe.
Mit speziellen Überwachungsprogrammen können Kinder geortet und ausspioniert werden, Handy-Sperren eingerichtet und Rückrufe erzwungen werden. Stellt sich die Frage: Ist das notwendig und vor allem ist das sinnvoll?
Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser
Die Zeiten haben sich geändert. Jeder ist heute jederzeit erreichbar, auch unsere Kinder. Dank Handy brauchen wir uns keine Sorgen mehr zu machen, dass unsere Kinder im Alltag vor unlösbare Probleme gestellt werden, wir sind ja jederzeit erreichbar. Ob der Schulbus verpasst, die Sporttasche vergessen oder der richtige Weg nicht gefunden wird, wir können jederzeit mit Rat und Tat zu Hilfe eilen.
Doch vielen Eltern reicht dies nicht als Sicherheit. Unter dem Begriff Parental Control gibt es mittlerweile viele Apps, mit denen Eltern ihre Kinder umfänglich überwachen können. Was die NSA mit ihrer Handy-Spionage in Verruf gebracht hat, wird im Zusammenhang mit dem eigenen Nachwuchs als durchaus legitim betrachtet. Kinder-Tracking heißt das Zauberwort. Die Angst ist allgegenwärtig. Die Kleinen könnten sich verlaufen, entführt werden oder gar den Gefahren des Internet schutzlos ausgesetzt sein.
Big Daddy is watching you
Die Auswahl an Überwachungssoftware ist vielfältig. Die Anbieter versprechen besorgten Eltern totale Kontrolle und Sicherheit:
Mit Familonet können alle Familienmitglieder geortet und kontaktiert werden. Man wird automatisch informiert, wenn Gruppenmitglieder an vordefinierte Orte wie die der Schule, Zuhause oder beim Sport eingetroffen sind.
Auch mit der App Synagram kann man seine Kinder jederzeit orten. Dazu wird das eigene Handy mit dem Kinderhandy verbunden. Via GPS Sender kann das Kind punktgenau geortet werden. Durch automatische Benachrichtigungen wird man sofort informiert, wenn das Kind nicht zur vereinbarten Zeit am Zielort angekommen ist. Über eine Chatfunktion kann man das Kind kontaktieren.
Die Software MamaBear geht noch einen Schritt weiter. Neben der Ortung können besorgte Eltern hier die Aktivitäten ihrer Sprösslinge in den sozialen Netzwerken verfolgen, sehen welche Fotos hochgeladen und welche Videos auf Youtube angeschaut werden. Auch alle Textnachrichten auf Whatsapp können mitlesen werden. Selbst vor Zensuren macht die Software nicht halt. Werden Wörter in Whatsapp verwendet, die vorher auf einen Index gesetzt wurden, schlägt die App Alarm.
Mit „Ignore No More“ wird das Handy des Nachwuchses so lange blockiert, bis Mutter oder Vater zurückgerufen werden. Anrufe zu ignorieren ist hier nicht mehr möglich.
Die App Qustodio blockiert auf Wunsch bestimmte Apps und Websites auf dem Handy ihrer Kinder, überwacht Textnachrichten und Anrufe und gibt Zeitlimits zur Nutzung vor. Mit automatisierten Tagesberichte werden Sie über alle Aktivitäten Ihrer Kinder informiert. Standortbestimmung und Panikknopf dürfen selbstverständlich auch nicht fehlen.
Die ganze Überwachungspalette wird auch von Phonesheriff angeboten, eine sehr beliebte App für alle Altersgruppen. Alle Aktivitäten auf dem Smartphone werden überwacht und protokolliert. Zeitsperren können die Nutzung des Handys nach Belieben einschränken.
Angst ist ein schlechter Berater
Eltern sind heute viel ängstlicher als früher. Das mag zum Teil an der umfassenden medialen Berichterstattung liegen, die heute jeden Fall von Entführung und Kindesmissbrauch zeitnah auf allen Kanälen sendet und eine ständige Bedrohung für den eigenen Nachwuchs suggeriert. Dabei spricht die Statistik eine ganz andere Sprache. Die Zahl der vermissten Kinder war vor 15 Jahren noch doppelt so hoch wie heute. Die Aufklärungsquote liegt dabei bei 99 Prozent.
Sexuelle Übergriffe erfolgen zum weitaus größten Teil aus dem unmittelbaren Umfeld der Kinder, beispielsweise durch Stiefväter und Onkel. Übergriffe durch Fremde sind sehr selten. Doch egal was die Statistik sagt, die subjektive Bedrohung ist um einiges größer als die objektive. Laut einer aktuellen Umfrage von Statista besitzen 76 % aller 10-11 jährigen ein Handy, im Alter von 12-13 Jahren sind es bereits 95 %. Die allermeisten nutzen ein Smartphone und haben dadurch uneingeschränkten Zugang zur Online-Welt. Das macht vielen Eltern Angst.
Immer wieder hört man von Mobbing-Fällen in sozialen Netzwerken, Gewaltvideos und Pornografie, die von Kinder und Jugendlichen gesehen werden und von Kriminellen, die die Kontaktaufnahme mit Kindern via Chat-Funktionen versuchen. In vielen Schulen werden bereits Vorträge zum sicheren Umgang mit dem Internet angeboten. Auch die Eltern sollten mit Ihrem Kind über den vernünftigen Umgang mit dem Smartphone reden. Ein wichtiger Punkt ist auch die Nutzungsdauer. Hier sollten klare Vorgaben gemacht werden, die das Kind auch einhält.
Die Eltern sind heute überall dabei
Die Eltern sind heute viel stärker als früher in den Tagesablauf Ihrer Kinder involviert. Noch zu keiner Zeit haben sich Eltern so sehr für den Kindergarten- und Kita-Alltag Ihres Nachwuchses interessiert wie heute. Auch der Schulalltag wird genauestens mitverfolgt, um bei Problemen schnell eingreifen zu können. Nichts wird dabei dem Zufall überlassen. Zum Wohl des Kindes werden Ärzte zu Rate gezogen, Nachhilfestunden gebucht und Lehrergespräche geführt.
Einen Großteil Ihrer Freizeit verbringen die lieben Kleinen heute in Sport- und Musikvereinen oder Kursen, die eine gezielte Förderung zum Ziel haben. Auch hier sind die Eltern immer auf dem Laufenden über den aktuellen Entwicklungsstand und das Verhalten ihres Nachwuchses. Die Kinder sind zudem nicht unbeaufsichtigt.
Selbst der Kontakt zu Freunden wird oft von den Eltern gemanagt – Termine finden, Fahrdienste übernehmen, Aktivitäten vorschlagen. Zeit für unbeobachtete, selbstbestimmte Freizeit ist da rar. Kein Wunder, dass sich Messager-Dienste wie WhatsApp und soziale Netzwerke so großer Beliebtheit erfreuen. Ermöglichen Sie doch den engen Kontakt mit Freunden, auch ohne sich mit diesen zu treffen.
Kindern auch mal etwas zumuten
Immer und überall für das eigene Kind da sein, es zu beschützen und vor Misserfolgen zu bewahren, dass ist das Ziel vieler Eltern. Dabei lassen Sie jedoch außer Acht, dass der Nachwuchs auch irgendwann auf eigenen Füßen stehen muss. Das geht leider nicht von heute auf morgen. Zu jeder Zeit seiner Entwicklung muss ein Kind zu selbständigem Handeln ermutigt werden. Dadurch erhält es Zutrauen in die eigenen Fähigkeiten und erlangt Selbstvertrauen. Dabei darf es auch mal scheitern.
In jedem Fall sollte es die Möglichkeit bekommen, selbst eine Situation zu meistern und nach eigenen Lösungen zu suchen. Kinder, die zu jeder Zeit auf die Hilfe der Eltern zurückgreifen können, werden um wichtige Erfahrungen betrogen und entwickeln sich zu unselbständigen und ängstlichen Erwachsenen. Durch die ständige Überwachung werden die Kinder verunsichert und vermuten überall Gefahren. Sie haben das Gefühl, dass jederzeit etwas passieren könnte.
Über Gefahren reden
Kinder können oft mehr, als wir Ihnen zutrauen. Sie sollten in der Lage sein auch ohne unsere ständige Kontrolle im Alltag zu bestehen. Der verantwortungsvolle Umgang mit Medien kann erlernt werden. Wir sollten uns dafür Zeit mit unseren Kindern nehmen und Sie über die Gefahren des Internet und der Handy-Nutzung aufklären. Wer ständig im Gespräch mit Sohn oder Tochter bleibt, muss Sie nicht überwachen. Erziehung lässt sich nicht durch Technik kompensieren.
Kinder sind zudem nicht dumm, wer ständig Kontrolliert wird, entwickelt schnell Möglichkeiten der Überwachung zu entgehen. Auch sollten Kinder ein Recht auf ein „Briefgeheimnis“ haben.
Zu guter Letzt sollten wir uns fragen, wie wir uns als Kind gefühlt hätten, wenn unsere Eltern all unsere Gespräche mit Freunden abgehört hätten und ständig gewusst hätten wo wir uns befinden. Gehörten nicht gerade die unbeaufsichtigten Stunden mit Freunden zu den glücklichsten unserer Kindheit?
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